Der Grand, der (vielleicht?) keiner ist

Folgendes Blatt in Vorhand:

Kreuz BubeKaro BubeHerz AssHerz KönigHerz Dame
Herz 9Herz 7Karo AssKaro 10Karo 7

Auf den ersten Blick ein gutes Blatt. Ein todsicherer Grand. Oder?

Der Grand wird immer genau dann sicher gewonnen, wenn entweder die beiden restlichen Bauern verteilt sind oder die Herz 10 blank sitzt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der Grand dann sogar Schneider. Liegen aber sowohl die Bauern auf einer Hand und die Herz 10 ist nicht blank, dann wird es schwierig, dieses Spiel zu gewinnen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl die Bauen als auch die beiden Herzkarten auf einer Hand sitzen, liegt bei weniger als 25% (50% für die Bauern, 50% für die Herzkarten und durch den Skat, in dem ja auch noch Bauern und/oder Herz liegen können, kommen wir auf unter 25% Gesamtwahrscheinlichkeit).

Aber selbst dann habe ich das Spiel ja noch nicht verloren. Ich habe immerhin zwei Bauern, drei Volle und bin in Vorhand.

Bei einem Grand, bei dem Bauern und Herz auf einer Hand sitzen, mache ich aus eigener Kraft mindestens 41 Augen:

Ich spiele Kreuz Bauer, darauf fällt Herz Bauer und eine Lusche (+4). Herz Ass wird mir abgestochen, Hinterhand legt natürlich die Herz 8 drauf. Mir wird ein schwarzes Ass angeboten (wieder mit einer Lusche), das ich steche (+13). Jetzt spiele ich noch Karo Ass und 10, auf das ich mindestens die Karo Dame bekomme (+24).

Für ein Blatt, das auf den ersten Blick so gut aussieht, sind 41 Augen nicht allzu viel. Aber ich mache schlimmstenfalls gerade einmal vier Stiche!

Das Blatt ist also ein klassischer Blender. Es gaukelt mir einen großartigen Grand vor. Eine todsichere Sache ist der Grand aber auf keinen Fall.

Immerhin: In mindestens drei von vier Fällen ist der Grand unverlierbar und wird mit großer Wahrscheinlichkeit sogar Schneider gespielt. Und selbst im „Fall der Fälle“ habe ich den Grand noch lange nicht verloren. Ich erreiche mindestens 41 Augen aus eigener Kraft, zusätzlich zu den Karten im Skat. Sobald ich mehr Augen zum Stechen angeboten bekomme oder die Karokarten besser verteilt sitzen, kann ich kaum noch verlieren.

Ich möchte aber an diesem Beispiel zeigen, dass es sich lohnt, jedes Blatt nocheinmal genau anzuschauen, bevor man sich blenden lässt und plötzlich mit einem verlorenen Spiel dasteht.

Ich habe für mich aus diesem Blatt folgende Schlüsse gezogen:

  • Bei einem Preisskat oder Clubabend werde ich damit immer einen Grand reizen und spielen.
  • Ich werde beim Grand immer in den Skat schauen. Ich muss wissen, was und wie viele Augen im Skat liegen, damit ich im „Fall der Fälle“ genau weiß, wann ich gewonnen habe.
  • Bei einem Liga-Spiel oder Mannschaftswettbewerb werde ich vermutlich nur das unverlierbare Herz Hand spielen. Wenn mich aber einer der Gegenspieler über die 30 hebt, werde ich auf Grand gehen (immerhin steigt damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass er „ohne 2“ reizt und damit die Bauern verteilt sind).

So, und jetzt könnt Ihr mich einen Feigling nennen.

Die wichtigste Skatregel

Skat ist Sport, daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Und wie jeder Sport ist auch der Skatsport sehr stark reglementiert. Die Internationale Skatordnung findet bei allen Turnieren Anwendung.

Und wie bei jedem anderen Sport auch spielt Fairness beim Skat eine sehr, sehr wichtige Rolle. Und das ist beim Skat – finde ich – weit verbreitet. Die Fairness beim Skat ist so wichtig, dass sie sogar Einzug in die Skatordnung gefunden hat. Und nebenbei ist das die einzige Regel, die durch Fettschrift hervorgehoben wird.

ISkO 4.5.2 Alle Teilnehmer haben sich in jeder Situation fair, sachlich und sportlich zu verhalten und kein fadenscheiniges Recht zu suchen.

Das ist meiner Meinung nach die wichtigste Regel der gesamten Skatordnung. Dass Fairness oftmals weit über die Skatordnung hinaus geht, durfte ich bei einer Qualifikation zur Einzelmeisterschaft „live“ erleben.

Es lief insgesamt nicht besonders. Ich kämpfte um jeden Punkt und kam dennoch nur zu durchschnittlichen Ergebnissen. Auch in der letzten Serie des Tages war das nicht anders. Dann bekam ich nach langer Wartezeit endlich mal ein brauchbares Spiel auf die Hand. Ich drückte und sagte Grand an. Nur hatte ich gar keinen Grand auf der Hand! Vor lauter Freude über das Spiel habe ich mich in der Ansage vertan. Ich korrigierte schnell auf „Kreuz“, mein eigentliches Spiel.

Die Rechtslage ist eindeutig. Meine erste Spielansage zählt und ich wäre zur Durchführung eines Grand-Spiels verpflichtet. Den hätte ich niemals gewonnen. Am Tisch wurde es schlagartig still. Nach mir endlos vorkommenden Sekunden sagte der Spieler in Vorhand: „Na, dann spielen wir mal Kreuz“ und spielte aus. Ich gewann mein Spiel.

Keiner meiner Mitspieler kannte mich näher oder hatte sonst irgendeinen Grund, mir einen Gefallen zu tun. Hätte einer von ihnen auf einen Grand bestanden, dann hätte ich das ohne ein Widerwort akzeptiert und mich vermutlich gestreckt. Die drei Spieler haben auf 30 sichere Punkte verzichtet, weil sie ihre Punkte lieber erkämpfen als durch Regelverstöße geschenkt bekommen wollen.

Ich möchte auch ein solch fairer und sportlicher Skatspieler sein. Und vor diesem Erlebnis war ich mir nicht sicher, wie ich in einer ähnlichen Situation als Gegenspieler reagiert hätte. An diesem Tag habe ich meine eigene Messlatte für Fairness beim Skat noch ein wenig höher gelegt.

Ein anderer Fall, bei dem ich zum Glück auf der anderen Seite saß. Eine etwas unerfahrene Skatspielerin reizte bis 36, schob den Skat ungesehen zu sich und sagte „Kreuz“ an. Vorhand wartete geduldig. Irgendwann fragte ich (in Hinterhand): „Was spielst Du?“. „Kreuz“, wiederholte sie. Nachdem Vorhand sich weiterhin weigerte, eine Karte auszuspielen, ergänzte sie: „Hand“. Dann eröffnete Vorhand das Spiel. Sie kannte die Regel nicht, nach der jede Spielstufe, die gezählt werden will, auch angesagt werden muss. Nach dem Spiel hatten wir sie darauf hingewiesen. Schneider hätte sie uns nie gespielt, ihr Kreuz Hand hatte sie souverän gewonnen.

Ich werfe keinem Spieler etwas vor, der sich in so einer Situation anders verhält. Vorhand hätte ausspielen können und am Ende des Spiels wäre das Spiel als einfaches Kreuzspiel zu Ungunsten der Alleinspielerin abgerechnet worden. Genau wie ich meinen Grand verloren hätte. Man kann niemandem einen Vorwurf machen, der sich an die Regeln hält und bei seinen Mitspielern auf die Einhaltung dieser Regeln besteht.

Aber diese Beispiele zeigen, dass Skat mehr ist als die Summe seiner Regeln. Und ich bezeichne die Spieler an meinem Tisch lieber als „Mitspieler“ statt als „Gegner“.

Das Skatparadoxon

Ja, der Artikel ist nicht neu. Ich habe ihn in ähnlicher Form schon vor einigen Jahren auf der Skatwelt veröffentlicht. Da hatte ich noch studiert und bin das erste Mal mit dem Geburtstagsparadoxon konfrontiert worden. Da ich das Thema sehr faszinierend finde, lasse ich es hier im Blog nochmals aufleben.

Das Geburtstagsparadoxon besagt folgendes: Es gibt 365 verschiedene Tage, an denen ein Mensch Geburtstag haben kann (den 29. Februar lassen wir jetzt mal weg). Man sollte jetzt denken, dass man daher sehr viele Menschen benötigt, um zwei zu finden, die am selben Tag Geburtstag haben. Tatsächlich sind es aber sehr, sehr viel weniger.

Wir arbeiten hier nämlich mit Wahrscheinlichkeiten. Ich kann 350 Personen in einem Raum haben und dennoch gibt es nicht zwei, die am selben Tag Geburtstag haben. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es diese zwei Personen mit demselben Geburtstag gibt, ist natürlich sehr hoch.

Tatsächlich genügen bereits 23 Personen, um mit 50%iger Wahrscheinlichkeit zwei Personen mit dem selben Geburtstag zu finden. Bei 50 Personen beträgt die Wahrscheinlichkeit sogar über 97%!

Was hat das Ganze mit Skat zu tun?

Skat ist das Spiel der großen Zahlen. Und die größte mir bekannte Zahl in diesem Zusammenhang ist die Anzahl der möglichen Kartenverteilungen. Und die Zahl ist ganz schön groß.

2.753.294.408.504.640

Das sind 2,7 Billiarden! Zum Vergleich: Die aktuelle Höhe der Staatsschulden der Bundesrepublik Deutschland beträgt (Stand August 2012) 2,1 Billionen. Das ist weniger als ein Tausendstel!

Die Zahl ist so groß, dass sie gerne als Beweis für die Komplexität des Skatspiels herangezogen wird.

So schreibt Egbert Odenbach in seinem Buch „Skat-Therapie“:

Es dauert somit Millionen Jahre, bis drei Spieler genau dasselbe Blatt bekommen, auch wenn sie jeden Tag 10 oder ein paar mehr Stunden zusammensitzen. Zum leichteren Nachrechnen: An fünfzig Millionen Tischen müßten einhundertfünzig Millionen Skatspieler einhundert Jahre lang reizen, ehe sich ein Spiel wiederholt.

Wie ich jetzt zeige, ist diese Aussage falsch. Denn tatsächlich würde es so lange dauern, bis alle möglichen Kartenverteilungen durchgespielt wurden. Aber die Karten werden nach jedem Spiel neu gemischt. Und damit spielen vorangegangene Spiele überhaupt keine Rolle mehr. Theoretisch wäre es also möglich, dass direkt zwei Mal hintereinander die selbe Kartenverteilung gegeben wird (die Wahrscheinlichkeit dafür liegt aber bei gerade einmal 0,000000000000036%).

Genauso wenig, wie wir 365 Personen benötigen, um mit großer Wahrscheinlichkeit zwei Personen mit demselben Geburtstag zu finden, müssen wir nicht 2,7 Billiarden Kartenverteilungen spielen, um zwei Mal auf die selbe Verteilung zu stoßen.

Jetzt zur Mathematik:

Bezeichne p die Wahrscheinlichkeit, dass ein Skatspieler zweimal die gleiche Kartenverteilung erhält. Damit ist q = 1 – p die Wahrscheinlichkeit, dass er nicht zweimal die gleiche Kartenverteilung erhält. Es dürfte klar sein, dass p mit steigender Anzahl von gespielten Spielen ansteigt (und q in gleichem Maße abnimmt).

Diese Wahrscheinlichkeit beträgt

Wobei n die Anzahl möglicher Kartenkombinationen (s.o.) und k die Anzahl gespielter Spiele darstellt. Zur effizienteren Berechnung von q und zur Ermittlung von k gibt es folgende Abschätzung:

Für k errechnen wir nun k = 40.714.229.

Somit erhalten wir für q die Wahrscheinlichkeit von 0,5, also 50%! Somit ist die Wahrscheinlichkeit für p natürlich ebenfalls 0,5.

Dies bedeutet: Nach „nur“ 40.714.229 (vierzig Millionen) Spielen hat der Spieler mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% zwei Spiele mit der gleichen Kartenverteilung gespielt.

Also: Obwohl der Spieler „erst“ 1 / 70.000.000 (ein Siebzigmillionstel) aller möglichen Spiele gespielt hat, hat er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zwei der Spiele mit der gleichen Kartenverteilung gespielt.

Wenn drei Spieler Tag und Nacht Skat spielen und für jedes Spiel 3 Minuten benötigen, dann benötigen Sie über 15 Millarden (genau: 15.715.150.733) Jahre, um alle möglichen Kartenverteilungen durchzuspielen. Aber sie benötigen „nur“ 232 Jahre, um mit 50% Wahrscheinlichkeit einmal dasselbe Spiel zu spielen.

Natürlich sind 232 Jahre immer noch ganz schön viel. Aber es ist deutlich weniger als 15 Milliarden Jahre.

Also stimmt die Aussage immernoch: Man wird in seinem Leben niemals dieselbe Kartenverteilung zwei Mal spielen.

Oder doch?

Gehen wir das Problem einmal von der anderen Seite an. Wir nehmen uns einen sehr aktiven Skatspieler. Dieser spielt zwischen seinem 20. und 80. Lebensjahr 250 Spiele pro Woche (also ca. 7 Serien am Dreiertisch). Er spielt in diesen 60 Jahren also ca. 780.000 Spiele. Runden wir einmal großzügig auf 800.000 Spiele auf. Das ist immernoch ziemlich weit weg von 2,7 Billiarden (es sind 0,0000003% aller möglichen Kartenverteilungen).

Die Wahrscheinlichkeit, dass er in diesen 800.000 Spielen zwei Mal dieselbe Kartenverteilung gespielt hat, beträgt immerhin 0,03%. Auf den ersten Blick ist das immernoch sehr, sehr unwahrscheinlich, aber wenn man bedenkt, dass die Wahrscheinlichkeit für 6 Richtige mit Zusatzzahl beim Lotto bei gerade einmal 0,0000007% liegt…

Also ist es durchaus möglich, zweimal im Leben dieselbe Kartenverteilung zu spielen. Ich glaube aber nicht, dass das Skatspiel deshalb an Faszination verlieren wird.

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